manuskripte #227
Krise und Aufbruch
„Ida von Szigetys Titelbild scheint auf den ersten Blick eine aussichtslose Situation darzustellen. Eine von jenen, wie sie uns aus den täglichen Nachrichten nur allzu bekannt sind … Was aber, wenn es sich um den Augenblick unmittelbar vor dem Aus- und Aufbruch handelt, das Sammeln der Kräfte, bevor die Jacke der Zwänge gesprengt und all das, was die Welt verstellt, übersprungen wird?“
Dies fragen sich Alfred Kolleritsch und Andreas Unterweger in ihrer dem Heft vorangestellten Marginalie. Als diese geschrieben wurde, war das Ausmaß der Corona-Krise noch nicht abzusehen – der Hoffnungsschimmer, der den Worten der Herausgeber innewohnt, ist aber wohl willkommener denn je.
Mit oder ohne Corona-Problematik lassen sich die 33 Beiträge der Ausgabe, geschrieben von 19 Autorinnen und 13 Autoren aus 10 Ländern, als Sammlung literarischer Sturmläufe gegen alle möglichen Zwänge lesen: Aufbrüche noch und nöcher, die angeblich Unumstößliches wieder und wieder kippen.
Hier einige Streiflichter: Michael Donhauser poetische wie psychedelische Kurzprosa zu Fotos von Natascha Auenhammer etwa ist nicht nur das poetische Protokoll einer Bewusstseinserweiterung, sondern auch Mittel zurselben, Felix Philipp Ingolds Essay zu „Anonymität und Exhibitionismus“ stellt die Eckpfeiler des Literaturbetriebs in Frage, Sabine Scholl schildert Venedig unter der Quarantäne des Faschismus, Hanno Millesi liefert sozial hellwache Großstadtimpressionen, in den Gedichten der Grazer Stadtschreiberin Volja Hapeyeva verwandeln sich Männer in Torten, Valerie Fritschs Gedichte porträtieren die Liebe gleich als „Kannibalismus“, und Freda Fialas Text- und Bildbericht aus Taipei skizziert mit wohltuend unkonventionellen Sätzen eine Situation, die nicht nur jener der Titelfigur des Heftes, sondern auch der ästhetischen Position der manuskripte seit nunmehr 60 Jahren ähnelt: „ich bin hier wo die / richtung des neuen noch steil ist“.
Auffällig der hohe Anteil an neuen Stimmen in dieser Ausgabe: der Steirer David Misch steuert eine Kurzgeschichte über den nicht banalen „Büroalltag“ bei, der Mariborer Tomo Podstenšek stellt einen seltenen Aspekts des kleinen Grenzverkehr dar, Nora Wicke gibt Einblick in ihr „diary of an extremely hungry feminist person raised in leipzig schwankend in berlin“.
Beeindruckend auch die debütierenden Lyrikerinnen wie Rahel Mayfeld mit ihrem Zyklus „heufieber“ oder Marit Heuß mit ihrem Langgedicht „Palacio inivisível“.
In der Lyrik-Sparte gibt es einen Schwerpunkt in Erinnerung an den unvergessenen Dichter und Übersetzer Fabjan Hafner, der drei seiner bislang unveröffentlichten Übersetzungen von Gedichten Uroš Zupans und Jasmina Topićs vereint.
Und Helmut Moysichs Rezension Die große Ausschüttung gedenkt des jüngst Verstorbenen manuskripte- und rotahorn-Preisträgers Hans Eichhorn.
manuskripte
Gegründet 1960.
Erschien zum ersten Mal zur Eröffnung der Forum Stadtpark Graz und damit einer Wiege österreichischer Literatur, Debatte und Kultur. Zuerst dreimal im Jahr, dann viermal. Die manuskripte bringen nur Erstveröffentlichungen.
Mit Beiträgen von:
- Timo Brandt
- Michael Donhauser
- Freda Fiala
- Günther Freitag
- Radek Fridrich
- Valerie Fritsch
- Volja Hapeyeva
- Marit Heuß
- Felix Philipp Ingold
- Noémi Kiss
- Kristina Kočan
- Sarah Kuratle
- Verena Längle
- Greta Lauer
- Heike Lauterkorn
- Gwendolyn Leick
- Rahel Mayfeld
- Hanno Millesi
- David Misch
- Helmut Moysich
- Daniel Nachbaur
- Barbara Peveling
- Tomo Podstenšek
- Sabine Scholl
- Max Sessner
- Miriam Spinrath
- Daniela Strigl,
- Jasmina Topić
- Nora Wicke
- Luke Wilkins
- Hedwig Wingler
- Uroš Zupan
Zusätzliche Informationen
Gewicht | 951 g |
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Größe | 270 × 210 × 12 mm |
Zeitschrift | manuskripte |
Bindung | Klebebindung |
herausgegeben von | manuskripte Literaturverein |
made in | Graz, Österreich |
Erscheinungsjahr | 2020 |